nicht mit dir
da saß sie nun.
auf einer bank, deren hälfte vom schatten des baumes unter dem sie stand, ins dunkel getaucht war.
da saß sie nun auf einer bank, wenige schritte entfernt von ihrem elternhaus.
hier, am fuße eines gebirges, am zusammentreffen zweier flüsse lag das städtchen.
ihre heimat. die ist es immer gewesen, egal was andere behaupten, egal was aus dem ort und seinen menschen geworden war, diese erde roch nach heimat.
hier war sie geboren, aufgewachsen, hatte gelernt, gearbeitet und sie hatte hier geliebt.
es war eine harte zeit, als ihr vater nach dem krieg versuchte eine existenz aufzubauen. er hatte schreckliches erlebt, doch er war jung, sein trachten auf die zukunft gerichtet. so kam es, dass er bald sparkassenleiter und stolzer vater einer tochter war, wohlhabend und angesehen in der gemeinde.
in der welt draußen schien ebenfalls alles gut anzulaufen. es gab arbeit und es gab zu essen. sie erinnerte sich gerne an die vielen veranstaltungen. „wie unbeschwert waren wir doch.“ murmelte sie und seufzte. seufzte wie ihr vater damals, ihm schien es draußen allzu gut anzulaufen. „hoffentlich werden ihre köpfe nicht zu schwer für ihre körper.“ sagte er heimlich über die politiker zu seiner frau. hören hätte das niemand dürfen, dann wäre er trotz der abzeichen nie wieder zu seiner familie zurückgekehrt.
seine tochter hatte von alldem keine ahnung. sie war jung, begeistert, die welt schien in ordnung. selbst dann noch, als seit 5.45 uhr zurückgeschossen wurde, denn das war weit im norden. in ihrer stadt herrschte frieden. sicher, in den nächsten zwei jahren gab es in ihrer nähe den einen oder anderen zwischenfall, aber sie maß dem keine bedeutung zu. ging mit ihrem verlobten blumen pflücken, prächtige gladiolen, der mutter zum geschenk, verliebt lächelte sie in die kamera, auch die farbfotografie würde sie der mutter geben, damit sie stets bei ihr sei, sie werde ja bald heiraten.
und dann.
sie seufzte wieder auf. dann hatte das unglück seinen lauf genommen. das reich war immer größer geworden, die köpfe der hohen herren immer schwerer und so spürte nun auch ihr geliebtes städtchen diesen furchtbaren krieg. ihren mann sah sie selten, wohnte wieder bei den eltern, erschrak wegen der berichte über die lager und konnte gerade wegen diesen nichts davon glauben. so etwas tut das teutsche volk nicht, redete sie sich im stillen zu und musste doch die wahrheit immer näher an sich heranlassen. genau wie die russen näher und näher kamen. da wurde ihr klar, dass sie verloren hatten. nun andere die befehle gaben. und dann mussten sie plötzlich alle fort. die heimat verlassen. freunde drängten sie das papier zu unterschreiben, mit dem sie ihr deutschtum ablegen könnten. aber das kam nicht in frage! "die familie ist teutsch!" „dann müsst ihr gehen, sofort, oder es wird zu spät sein.“
und sie gingen.
endlose reihen. alte, kinder, frauen, wenige männer. alle wollten retten was möglich war. manche versuchten zu rennen. manche blieben auf der straße einfach liegen. zu geschwächt. manche blieben auf der straße einfach liegen. von hinten erschossen. viele leichen säumten den weg. manche hatten karren, die legten ihre toten auf die wenigen habseligkeiten, nahmen sie mit, um sie anständig begraben zu können, wenn sie nicht mehr rennen mussten.
ihre familie hatte es geschafft. das leben schien gerettet. das materielle war verloren, wurde auch nie zurückgegeben, das haus, die möbel, kleider, bücher, sie besaßen nun nur noch den kleinen koffer mit ein bisschen gewand und fotos der ahnen.
es war jedoch noch nicht überstanden. ihre tochter und ihr vater bezahlten die flucht mit einer lungenentzündung und starben. ihr mann begann nicht zu diesem zeitpunkt zu trinken, das hatte er bereits im krieg gelernt, er begann zuviel zu trinken. leben auf engstem raum, hunger, streit und schläge. da flüchteten sie erneut, mutter, tochter und deren tochter und sohn. ließen den schläger zurück. es ging von einem lager zum anderen. überall dieselben baracken, dieselben rauen decken, dasselbe elend. im lager begann sie zu rauchen, das stille den hunger, sagte ihr jemand. das letzte lager gefiel ihnen am besten. es war in einer stadt am fuße eines gebirges, am zusammentreffen zweier flüsse und besatzern, die ihnen wohlwollen entgegenbrachten. nun konnte sie ruhiger schlafen. hier gab es keine vergewaltigungen, keine willkürlichen sanktionen.
„nein!“ sagte sie plötzlich laut zu dem fahlen wesen, das schwarzgekleidet schon einige zeit neben ihr saß, bei harmvollen gedanken heftig nickte, rostbraune worte murmelte und sie dann einlud, mit ihm zu gehen.
„nein! ich habe vieles erlebt. schöne stunden und traurige. stunden, die wie ein frühlingsmorgen dufteten und solche, die bestialisch stanken. in all diesen stunden habe ich immer wieder menschen gesehen, die mit dir weggingen, doch sie kamen nicht als menschen zurück, weil du ihnen deine gedanken untergeschoben hast. aber mich bekommst du nicht!“ sie stand auf, ließ den hass im schatten sitzen und schlenderte die straße hinauf.